
Dies ist ein persönlicher Erfahrungs-Bericht und Selbst-Reflektion als Online-Leser. Gleichzeitig bin ich selbst die Zielgruppe der Heavy-User von News-Portalen. Dennoch habe ich bisher erstaunlicherweise nur ein einziges Bezahl-Abo! Warum?
Was für ein Online-Leser bin ich?
Mich kennzeichnet, dass ich pro Tag durchschnittlich 50 redaktionelle Artikel lese. Vor der Gründung von kontextR waren auch gerne bis zu 200. Die Leidenschaft zu Informationen war sicherlich auch ein wichtiger Grund, warum ich gerade im Verlagswesen ein Startup gründen wollte.
Viele, viele Browser-Tabs
Außerdem habe ich immer eine Menge Reiter im Browser offen, die ich dann irgendwann – manchmal nie – abarbeite. Und so fühlt es sich für mich manchmal auch an: nach Arbeit!
Meine Neugier, die durch reißerische Schlagzeilen geweckt wird, denen ich mich nicht verwehren kann, aber auch die Sorge, eine wichtige Information verpassen zu können, erzeugt die inflationäre Ansammlung von noch nicht gelesenen Artikeln. Gleichzeitig erzeugt dies auch ein schlechtes Gewissen. Jeder kennt das, der viele Bücher zuhause liegen hat, die noch gelesen werden wollen. Dazu kommen täglich neue Artikel dazu. Vor allem weil ich regelmäßig durch diverse News-Portale browse und viele Newsletter mit Unmengen an Content erhalte.
Welche Werkzeuge zum effizienten Lesen nutze ich?
Folgende Liste diverser Tools, die ich nutze, meist als Erweiterungen im Chrome Browser:
- zum Speichern von Tabs (Session Buddy)
- zum Arbeitsspeicher-Schonen bei hundert(en) Tabs (The Great Suspender)
- unsere selbst entwickelte Chrome-Extension ZOOM Premium zum Vergrößern der Schrift)
- unseren ebenfalls neuen Content-Blocker für übersichtlicheres Lesen
- unsere Link-Preview um vor Klick zu wissen, ob sich dieser lohnt

Wir bauen ständig neue kleine Helferlein für und unsere Leser. Schon allein, weil Teile des Teams und ich Extreme-Nutzer sind. Zu empfehlen sind weitere Tools wie Pocket, Mercury & Co. Meine Performance optimieren diese nicht merklich, um noch schneller und mehr zu lesen.
Was hat das nun mit Paid-Content zu tun?
Bevor in den letzten Jahren und Monaten fast alle meiner präferierten Publisher eine Plus-Paywall eingezogen haben, dachte ich, dass die Leser das vorwiegend ablehnen würden. Warum sollte man einen Artikel, den man online bisher kostenfrei und ohne Hürden plötzlich bezahlen wollen? Bei der immensen Auswahl von Alternativen im Web!
Schließlich sind deshalb viele digitale Inhalte kostenfrei, weil das große Angebot den Preis nahe Null bewegt.
Doch es ist etwas passiert – mit mir passiert. Etwas in meiner eigenen Psychologie, womit ich nicht gerechnet hatte:
Ich bin oft froh, dass ein Artikel „paid“ ist, damit ich ihn nicht lesen muss!
Das hört sich womöglich verquer an! Es fühlt sich aber wie eine Art Erleichterung an, wenn ich einen der vielen Tabs öffne und sehe, dass ich diesen nun gar nicht lesen muss, weil ich diesen ja bezahlen müsste. Für mehr als ein dutzend Portale, die ich regelmäßig besuche, würde ich niemals 10-30€ je Abo pro Monat blechen. D.h. Paid-Content hat es geschafft, dass ich die Anzahl der Tabs minimieren konnte und mein schlechtes Gewissen auf Vordermann gebracht habe. Selbst wenn ich den Plus-Content geöffnet habe, so reichen mir oft die ersten Zeilen, um die Kern-Message mitzunehmen.
Und wenn ich einen Artikel unbedingt lesen möchte, der hinter einer Paywall liegt, so bieten manche Publisher an, kostenfrei Artikel zu lesen. Zumindest eine gewisse limitierte Anzahl pro Monat, bevor die Artikel hinter der Bezahlschranke verschwinden – siehe dazu den Beitrag „Metered Model – so nutzen Größen wie SZ-Plus und Handelsblatt-Premium Paid-Content„. Findige User lösen das „technisch“ oder falls nicht möglich einfach durch mehrere Email-Accounts. Wo steht geschrieben, dass das verboten ist?
Muss journalistische Leistung in jedem Falle bezahlt werden?
Der Einwand eines Journalisten kann nun sein, dass redaktionelle Leistung auch bezahlt werden muss. Ich würde dem zustimmen. Dennoch braucht es dafür Modelle, die attraktiv sind.
Mit Moral macht man kein Business, sondern durch Kunden-Nutzen!
Warum gibt es heute kaum mehr illegale Musik- oder Video-Downloads oder sind unattraktiv für User geworden? Weil es Plattformen wie spotify, itunes, etc. gibt, die es legal möglich machen, digitale Assets noch weit besser zu konsumieren als es die kostenfreien Varianten je könnten.
Das bedeutet, Publisher brauchen dieses User-Experience-Modell, damit weit mehr Leser zu Digital-Abonnenten werden. Einen Ansatz hierzu habe ich in dem Artikel „Irgendwann wird es ein „Amazon Prime Press“ für Paid Content geben“ beschrieben.
Dennoch, ich bin seit einigen Wochen ein Plus-Abo Kunde
Corona macht´s möglich. Als Entrepreneur interessiere ich mich brennendst für Trends und wie man diese nutzen kann. So fand ich einen Plus-Artikel, der diejenigen börsennotierten Firmen aufgelistet hatte, die trotz oder wegen der Krise stark wachsen. Das erste mal, und bis dahin hatte ich wohl insgesamt ca. 1000 Plus-Artikel geöffnet, wurde ich ein echter Plus-Abonnent! Und ich muss zugeben, der Provisionierungs-Prozess des Verlags war top. Darüber werde ich vielleicht demnächst noch schreiben, wie man es richtig macht.
Natürlich habe ich erstmal nur ein Test-Abo und danach wird´s erst richtig teuer. Aber Digital-Leute wie ich sind bei monatlichen Kündigungs-Optionen locker. Anders als Generationen vor mir, die ein Abo abschließen und denen die Kündigung so viel Energie abverlangt, dass sie lieber zahlen, so ist Kündigen ein gut gelerntes Verhalten bei Konsumenten geboren nach 1975.
Dies sollte nicht vergessen werden, wenn Publisher aktuell Probe-Monate anbieten und in der Krise sehr viele neue Abonnenten gewinnen. Wenn Corona vorbei ist, werden nicht wenige Abonnenten sofort die Reißleine ziehen. Zumindest falls man nicht wirklich regelmäßig qualitativen und auf den User zugeschnittenen Content erhält. Das ist schwer, denn die Ansprüche sind hoch und die Bedürfnisse der Leser sehr unterschiedlich!
Die Kundenbindung wird die zentrale Herausforderung für die Publisher. Vor allem für die Newcomer im Bezahl-Geschäft, welche lediglich die bisherige redaktionelle Leistung auf „bitte nun bezahlen“ gestellt haben. Und zwar ohne dass der Leser einen Qualitäts-Schub erlebt. Qualität aber erzeugt für den Verlag höhere Kosten, so dass sich die Marge kritisch senken kann.
Sollte man als Publisher überhaupt Plus-Abos anbieten?
Aus meiner Sicht ein klares JA! Die meisten Verlage, die überleben werden, tun diese wegen Plus-Abos. Siehe dazu „Warum Publisher keine Online-Anzeigen mehr verkaufen, sondern auf Paid-Content setzen sollten?„
Deshalb ist es umso wichtiger, dass es frühzeitig auch richtig gemacht wird. Ich empfehle hierzu externe Consultants zu Rate zu ziehen oder auf Anfrage unseren kontextR Business-Case-Kalkulator für Plus-Abos. Damit kann mit wenigen relevanten Parametern die Attraktivität einer Paywall berechnet werden.
Fazit
Gerade Heavy-User wie ich, die viele hundert Touch-Points in Plus-Artikel benötigen, um zu konvertieren, müssen gesondert in eine Zielgruppen-Analyse einfließen. Für Leser wie mich gilt, ab einer kritischen Anzahl von geöffneten Paid-Contents ist die Wahrscheinlichkeit eines Abschlusses nahezu garantiert. Persönlich schätze ich diesen für meine Persona auf eine Conversion-Rate von 0,2% für ein überregionales News-Portal ein. Das bedeutet, ein Portal muss durch diverse Reichweiten-Maßnahmen des Verlags eine Menge Traffic in die Paywalls erzeugen. Beispiele hierfür sind
- passende Verlinkungen in den Texten
- Startseiten-Teaser
- Newsletter
- usw.
In meinem Falle wären das ca. 500 Klicks in Plus-Artikel, die nötig wären mich zum Kunden zu machen. Natürlich muss jede Zielgruppe gesondert betrachtet werden und es hängt auch vom Content selbst ab. Die Message lautet aber:
je mehr Leser in die Artikel mit Paywalls geschickt werden, desto mehr Abo-Abschlüsse –> Traffic * Conversion-Rate = Abonnenten
Für Publisher die bereits gut aufgestellt sind, bietet kontextR PLUS+ genau hierfür einen Ansatz für viele tausend bis Millionen Klicks in die Plus-Artikel. Mit dem Umsatz-Kalkulator kann ein Publisher schnell berechnen, ob die Lösung einen relevanten Beitrag zu seinem Geschäft hat.
Weniger lesen
Mancher wird sich beim Lesen der Einleitung gedacht haben, wo nimmt der die Zeit her so viele Artikel zu konsumieren? Es ist einerseits mein Business, andererseits hat es mit einer persönlichen Neugier und Wissensdurst zu tun.
Dennoch würde ich allen, denen ebenso ergeht empfehlen, weniger zu lesen! Vielleicht dann wirklich nur noch Paid-Content-Artikel, die dann hoffentlich eine über-galaktische Qualität und Relevanz für mein Leben aufweisen.
Ich reduziere die Anzahl von Content seit Jahren kontinuierlich. Und wer weiß, vielleicht komme ich durch „digitales Detox“ an den Punkt, keine Informationen mehr aufnehmen zu wollen und zu müssen – sondern einfach nur zu sein.
111,174 Gesamt, 205 Views heute